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Vom barocken Depot zum Wiener Heurigen

Vom barocken Depot zum Wiener Heurigen

Joseph II – Vinothek & Heurigen in Schönbrunn eröffnet!

Zur Eröffnung des Heurigens am 30.September 2021
von Architekt Manfred Wehdorn

Der Wiener Heurige. Eine kulturelle Institution

Was der Wiener Heurige (nicht) ist. Ein Prolog:
Der Wiener Heurige ist kein Ort, kein Gebäude, schon gar nicht ein Restaurant. Der Wiener Heurige ist eine kulturelle Institution.

Dem echten Wiener Heurigenbesucher ist die Architektur, das sogenannte Ambiente, „wurscht“, eine gewisse Schäbigkeit der Räume durchaus gewünscht. Der Vorwand für den Besuch ist ein gutes Glas Wein, fast wichtiger aber noch das Gespräch mit den Tischnachbarn und den Kellnerinnen und Kellnern, die er als Freunde sieht. Er möchte „im Grünen sitzen“, auch wenn er sich in der Realität dann oft in einem dunklen Kellerraum befindet. Und wichtig ist natürlich das Essen: einfach, gerne deftig, das heißt ungesund, vor allem aber reich sortiert, kalt und warm.

Der Architekt, beauftragt mit der Neuplanung eines Heurigen im höfischen Ambiente einer
barocken Schlossanlage, steht auf einem schwierigen Posten. Er kann nur versuchen, den richtigen Rahmen zu schaffen, alles andere ist Aufgabe des Betreibers – und der Gäste. Neusprachlich ausgedrückt: Der Architekt liefert die „Hardware“, Betreiber und Gäste die „Software“.

Zur Geschichte des Objektes
Lage und Objekt für den neuen Heurigen in Schönbrunn bieten geradezu ideale Grundbedingungen. Das zweigeschossige Haus, in dessen Erdgeschoß sich der neue Heurige befindet, das sogenannte „Kontrollorstöckl“ gehört mit zum ältesten Baubestand auf dem Schlossareal. Diese Liegenschaft war ursprünglich im Besitz des Stiftes Klosterneuburg und an die Penzinger Bauern als landwirtschaftliche Gründe verpachtet, wobei darunter damals schon Weingärten waren. 1744 kaufte Maria Theresia diese Flächen, um sie dem Ausbau von Schloss Schönbrunn als kaiserlichen Sommersitz zuzuführen. Das Kontrollorstöckl war Sitz des Hofkontrollors, der für alle Beschaffungsvorgänge verantwortlich war, das heißt für alles, was an Sachgütern zum täglichen höfischen Leben, wie Tischtücher, Kerzen usw. notwendig war und in dem Gebäude auch gelagert wurden.

Was waren die baulichen Vorgaben?

Das Kontrollorstöckl bildet ein selbständiges Bauwerk im Verband der barocken bzw. frühklassizistischen Nebengebäude an der Schönbrunner Schloßstraße zwischen dem Haupteingang zum Schloss, dem Obeliskentor, und der Orangerie. Das Innere des Erdgeschosses, in dem der neue Heurige etabliert werden konnte, ist von mächtigen Gewölben geprägt, die hofseitig auf schlanken Steinpfeilern aufliegen. Zweifellos waren diese Räume ursprünglich die Lager für den täglichen Bedarf des Hofes.

Zuletzt war im Erdgeschoß eine Wohnung und ein Pfadfinderheim etabliert. Weil man die starke aufsteigende Feuchtigkeit offenbar nicht anders in den Griff bekommen hatte, war die Ebene der Wohnung um mehr als einen Meter angehoben, das heißt angeschüttet worden. Diese Verringerung der Raumhöhe, die damit einherging und der Einbau zahlreicher Zwischenwände, ließen die ursprüngliche Schönheit der Räume vor dem Umbau nur mehr erahnen.

Vom barocken Depot zum Wiener Heurigen
Naheliegender Grundgedanke war die Wiederherstellung der barocken Raumstruktur. Dazu musste zunächst die gesamte Bodenaufschüttung entfernt werden. Als Folge ergaben sich alle Problemstellungen aufsteigender Grundfeuchte, die letztendlich nur durch das Durchschneiden des gesamten aufgehenden Mauerwerks und dem gleichzeitigen Einlegen einer Isolierschicht erreicht werden konnte. Die starke aufsteigende Gesamtfeuchte hatte nicht zuletzt auch die Statik des Gebäudes, insbesondere die Tragfähigkeit der hohen Steinsäulen einigermaßen beeinträchtigt. Verfestigungen, Verpressungen und viele andere flankierende Maßnahmen ließen daher aber auch diese technischen Problemstellungen lösen.

Aus funktionaler Sicht war die Lösung einfach
Eingang bzw. Durchgang zum Schloßpark, die im Laufe der Zeit ebenfalls verändert worden waren, werden wieder in die Achse des Gebäudes rückverlegt, die beiden großen ehemaligen Lagerräume zu Gasträumen umgewidmet. An der östlichen stadtnäheren Stirnfront wurden die Betriebsräumlichkeiten angeordnet, Personal- bis Kühlräume, vor allem aber eine große Vollküche an der Ecke zur Schönbrunner Schloßstraße, die alle Möglichkeiten für eine Spitzengastronomie bietet. Straßen- und hofseitig wurden dem Gebäude große Schanigärten vorgelagert, die auch eine Art Signet für die neue Nutzung darstellen. Die Lage an der Schönbrunner Schloßstraße ermöglicht auch die Öffnung des Heurigen außerhalb der Schließungszeiten des Schlossparks.

„Schönbrunnergelb versus Heurigengrün“. Die gestalterische Herausforderung:
Der Heurige im Bereich von Schloss Schönbrunn ist zweifellos kein „üblicher“ Heuriger. Es ist der Ort und die beeindruckende Innenarchitektur der hohen Räume mit ihren Gewölbestrukturen und Pfeilerstellungen, welche das Erscheinungsbild prägen. Die gewohnten Elemente eines Wiener Heurigen konnten aber aufgenommen und „tradiert“ werden: Ein Heuriger kann nur einen gediegenen Holzboden haben, und auch auf die traditionelle Holzvertäfelung wurde nicht verzichtet, wohl aber in Aufteilung und Farbgebung, in einem zarten Grauton, der Eleganz der Räume in einer zeitgemäßen Anforderung entsprechen. An der Stirnfront der Pfeilerhalle befinden sich zwei großflächige Wandbespannungen, die Motive des Malers Johann Wenzel Bergl, aus den Erdgeschoßräumen des Schlosses Schönbrunn in Originalgröße wiedergeben.

Bewusst wurde bei der Möblierung insbesondere bei Bänken, Sesseln und Tischen auf einfache Holzmöbeln zurückgegriffen, in der Polsterung findet sich sogar das traditionelle „Heurigengrün“. Nur die Schank im straßenseitigen Gartenraum wurde in einer neuen charakteristisch und monolithischen Form ausgebildet und mit Messing Blech verkleidet. Das Material Messing hebt die Schank als Herzstück des neuen Heurigen hervor, was sie ja auch ist. Die unvermeidlichen Gebrauchsspuren werden im Laufe der Zeit das Material immer mehr verschönern. Den Hintergrund der Schank und jenen in vielen anderen Raumbereichen bilden große, beleuchtete Weinregale.

Apropos Beleuchtung: Viel indirektes Licht, dimmbar, und einzelne gerichtete Spots bilden die Grundausstattung. Die hohen Räume erschweren die direkte Beleuchtung vieler Tische. Teilweise wurden daher Stehleuchten in die Räume integriert. Der Architekt wünscht sich sowieso Kerzenlicht …

„Architektur ist Leben“. Ein Epilog
Der Architekt – das wurde schon eingangs festgehalten – kann nur den Rahmen schaffen, in dem sich Leben entfalten kann. In diesem Sinn wird sich erst zeigen müssen, ob der „Spagat“ zwischen der Eleganz der Räume und der Gemütlichkeit eines traditionellen Heurigen gelungen ist.

Der Prozess der Bauführung lässt Positives erwarten: Der Dank gilt in diesem Zusammenhang zuvorderst der Direktion der Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H., welche die bauliche Entwicklung mit all ihren Problem- und Fragestellungen konstruktiv unterstützt hat, ebenso, wie dem Betreiber für seine laufende Unterstützung zu danken ist. Mit dem fortschreitenden „Wachsen“ des Heurigen war auch die Begeisterung und Hilfsbereitschaft aller Beamten, die mit dem Bau verbunden waren, deutlich spürbar. Wie stets gilt der Dank dem Bundesdenkmalamt, das ganz wesentlich zum Gelingen des Projektes beigetragen hat. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass – trotz Corona und Engpässen bei den Materialien – das Projekt termingerecht und auch im wirtschaftlich programmierten Rahmen fertiggestellt werden konnte. Auch hier war die Begeisterung der beteiligten Firmen, vor allem aber des Planungsteams des beauftragten Generalplaners, Wehdorn Architekten ZT GmbH, Basis des Gelingens.

In diesem Sinn wird das fertige Werk seiner Widmung übergeben. Jetzt werden die Gäste, nicht zuletzt die Wienerinnen und Wiener, das Sagen haben, besser: das Essen, Trinken und Genießen.

Fotos:  Wehdorn Architekten ZT GmbH

https://www.wehdorn.at/projects/joseph-ii-heurigen-und-vinothek-im-schloss-schoenbrunn/

https://www.heurigerschoenbrunn.at